Die lächerliche Furcht vor dem 12. Juni 1785 

( aus: Für aeltere Litteratur und neuere Lectüre. 1785, 3. Heft, S.125-132 )

 

 

Erläuterung.

Wohl möglich, daß ausser Sachsen vielen unsrer Leser das vorstehende Gedicht des Herrn N. eine unverständliche Satire zu seyn dünken dürfte! Aber kund und zu wissen sei es diesen allen aus der Skandal-Kronik des iezigen Jahrs: daß es wirklich der einfältigen Prophezeiung des Stolpner und Pirnaer Kalenders, die aus der Koniunktion des Mars und Iupiters { i und j wurden nicht unterschieden}  an gedachtem Monats-Tage, eine Endschaft aller Noth verkündeten, gelungen sei, einen großen Theil desienigen Landes das sich zu Teutschlands aufgeklärtesten Provinzen rechnet, und rechnen darf, in eine Angst zu versezzen, die derienigen wenig wich, die bei Anfang des tausenden Jahrs nach Christi Geburt halb Europa ergrif.

Man würd‘ es kaum glauben, geschäh‘ es nicht zu unsern Zeiten und unter unsern Augen: daß es iezt noch Dörfer gegeben, wo die Bauern durch Strafauflagen zur weitern Bestellung ihrer Felder haben angetrieben werden müssen. Aber nicht auf dem Lande allein bewies der Kalender, daß seine Glaubwürdigkeit zunächst der Bibel stehe; bald ging die Furcht vom Landmann auf den Städter, vom Pöbel im Leinenkittel auf den im seidnen Gewande, ia selbst hier und da auf denienigen Zirkel über, der sonst in moralischer wie in politischer Rüksicht Achtung verdient. Welch eine gangbare, ganz Impostfreie Waare {Impost = Stempelgebühr} der Aberglaube auch in Residenzstädten sei; wie stark er selbst in Häuser vom ersten Range noch eingeführt werde; davon gab dieser erwartungsvolle Monat der Proben mehrere, als nöthig zum Beweis, und nüzlich fürs Ganze waren.

Ehrlicher, braver Palisch, wie manche städtische Thorheit hat zu deiner ländlichen Gelahrheit ihre Zuflucht genommen, und von dir Trost begehrt; denn du treulicher gabst, als er geglaubt und genüzt ward. Selbst Geistliche nah und fern unterließen nicht Erkundigung einzuziehn, um vielleicht aus der Nähe des Weltgerichts Stof zu herzbrechenden Bußvermahnungen. herzunehmen *). — Wehe dem Frevler, der wenn er Züge dieser Art hörte, ein Lächeln, oder wohl gar einen Spott wagte. Der Gedanke von Atheismus, und …

* ) Unter diesen Nachfragenden hat mir vorzüglich merkwürdig Herr M. S — g. geschienen; iener wakre Pastor, der nach der Theurung von 1772 eine eigne Predigt hielt und drukken ließ, worinnen er bewies, daß alle in dieser Hungersnoth Gestorbne zur Strafe für ihre Sünden so heimgesucht worden wären.

… Freigeisterei war dann gewiß bald bei der Hand, und der Verfasser dieses Aufsazzes selbst kent Personen, denen eines solchen Scherzes halber zeitliches Trübsal und ewige Verdamnis, wahrscheinlich aus lauter christlicher Liebe, verkündigt worden ist.

Mit leichter Mühe hätten sich, wenn man drauf Jagd machen wollen, der drollichten Anekdoten ein reichliches Schok auftreiben lassen, aber wir wollen nur mit ein paar schliessen, die wir von sichrer Hand haben. — Ein Mann, der sich bisher, und zwar mit ziemlichem Vortheil, von einem Handel mit gemästeteten Kapaunen {kastrierte Hähne} und andern Federvieh nährte, schlug, so wie der 12. Juni almälig heranrükte, auch immer hastiger mit seinen Kapaunen los und ab; wandte aber das dafür gelöste Geld, nicht wie bisher, zur Erkaufung neues Vorraths an; sondern that seinem Leibe nach Möglichkeit davon gutes; schmauste, was er nicht gleich verkaufte, selber auf, und berechnete alles so sorgfältig, daß sein lezter Kapaun und sein lezter Groschen mit den 11. Iunius verschmaußt waren. Arm, wie eine Kirchenmaus harrt er nun auf den iüngsten Tag, und ward, da dieser nicht sich einstelte, von diesem Tag an ein Betler. — —

An einem gewöhnlichen Werkeltage begegnete eine Bürgersfrau ihrer Nachbarin im besten Sontagspuzze. — »Je, warum geht sie denn heut so statlich einher?« fragte diese. — „Guter Gott, da doch die Welt bald untergehn soll, so säh ich nicht, warum ich meine Kleider schonen, und das bischen Vergnügen sie zu tragen mir versagen wolte.«

Am sichtlichsten ist der Kampf mannichfacher Leidenschaften und obsiegender Furcht bei dem Gewühl der Menge sichtbar gewesen, die in dieser merkwürdigen Nacht auf der Brükke zu Dresden sich versamlete, um da die Begebenheit am Himmel und vielleicht auch das Herabfallen der Sterne zu beobachten. Wir könten die Herrschaften von hohem Range nennen, die allviertelstündig ihre Bedienten heraus ins Freie sandten, um zu untersuchen: Ob eine Veränderung am Himmel vorgienge? Doch wozu dies für den Fremden? und ob der Dank der Personen Quästionis schon iezt groß seyn möchte; — daran zweifeln wir.

A — r.

 

 

 

 

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